Kaum geboren, und schon ist das ICH da

Wie Dr. Michael Kavšek* (Entwicklungspsychologe, Universität Bonn) in einem Interview mit Marianne Wellershoff** berichtet, können Säuglinge bereits bei der Geburt den Unterschied zwischen sich und der Umwelt wahrnehmen.

Das ist die Voraussetzung dafür, dass ein Säugling überhaupt eine emotionale Bindung aufnehmen kann.

Im Alter von 15-18 Monaten erkennt sich das Baby als Selbst im Spiegelbild

Erkennt sich das Baby im Spiegel, wird aus der vorher noch unbewussten Wahrnehmung eine erste bewusste Selbstwahrnehmung. Das Baby beginnt sich jetzt selbst zu reflektieren.

2 Tage auf der Welt und schon ein bisschen weise

Dr. Kavšek fand durch experimentelle, empirische Studien heraus, dass Säuglinge bereits zwei Tage nach der Geburt beginnen, zwischen Sehen und Fühlen zu unterscheiden.

Neugeborene können einen Zusammenhang zwischen Sehen und Fühlen herstellen

In einer Studie von Dr. Kavšek wurden Neugeborene mit Pinseln auf der Wange oder auf der Stirn berührt. Gleichzeitig zeigte man diesen Säuglingen Videos von ebenfalls ein bis zwei Tage alten Säuglingen, die an den gleichen Stellen berührt wurden.

Das übereinstimmende Bild wurde von den Neugeboren deutlich länger betrachtet. Das lässt den Schluss zu, dass sie einen Zusammenhang zwischen Sehen und Fühlen herstellen konnten.

Haben Neugeborenen schon ganz bewusste Erkenntnisse?

Dr. Kavšek verneint diese Frage. Nach ihm handelt es sich um lediglich Wahrnehmungsmomente – also eine Vorstufe.

Welchen Spielraum haben Eltern überhaupt noch nach der Geburt? Oder ist bereits alles genetisch festgelegt?

Viele Studien zeigen, dass das fürsorgliche Verhalten von Mutter und Vater sich extrem positiv auf die Entwicklung auf das Selbst des Babys auswirkt.

Beschäftigen Eltern sich bewusst mit ihren Babys, besprechen Dinge, nehmen feinfühlig wahr, welche Bedürfnisse ihr Kind hat, dann entwickelt sich die Selbstwahrnehmung viel schneller.

Schüchtern oder selbstbewusst – was ist bereits nach der Geburt entschieden?

Hier sprechen wir von dem Temperament des Kindes:

  • Wie schüchtern ist es?
  • Wie aufmerksam ist es?
  • Wie heftig reagiert es?

Bereits bei ungeborenen Kindern lassen sich anhand des Herzschlages große Unterschiede feststellen. Langzeitstudien haben ergeben, dass gerade sich die extremen Temperamente kaum verändern.

Eine beruhigende Erkenntnis, die doch dabei helfen kann, gelassen und gefühlvoll im Alltag mit seinen eigenen Kindern umzugehen.

*Priv.-Doz. Dr. Michael Kavšek
arbeitet an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn in der Abt. Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie

**Quelle: Marianne Wellershoff, Der Spiegel, Edition Wissen, Thema Erziehung, Ausgabe 1 – 2017